Geschichte bleibt, gelebt wird jetzt
Lassing hat das Bergwerksunglück in das Leben integriert. Vergessen wird nicht, aber der Ort sucht eine neue Identität - für sich und in der Wahrnehmung von außen.
Der 17. Juli 1998 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Nation eingebrannt: Das schwerste Bergwerksunglück in Österreich seit 1945 begann an diesem Tag, hielt das Land zehn Tage lang in Atem und endete mit der Gewissheit, dass zehn Kumpel nie mehr zu ihren Familien zurückkehren würden können. Das Wunder Georg Hainzl, der als einziger Bergmann aus der Grube gerettet werden konnte, bleibt ein Wunder, aber eines mit Schatten.
Lassing hat sich innerhalb von sechzehn Jahren von dem Schock erholt, die Angehörigen und der gesamte Ort mussten lernen, mit Verlusten und dem Unglück zu leben - und sie haben es gelernt. "Aber natürlich ist das Thema noch da, wir versuchen zu verdrängen, weil vergessen können wir nicht", sagt Bürgermeister Fritz Stangl, der zum Zeitpunkt des Unglückes Vizebürgermeister war. "Es ist die Ungewissheit, die uns nicht wirklich abschließen lässt, denn es ist völlig ungeklärt, wie die Kumpel zu Tode gekommen sind."
Zukunft wächst
Aber Lassing baut aus der Vergangenheit eine Zukunft, arbeitet aktiv an einer Imagekorrektur, will nicht mehr ausschließlich als Unglücksort gesehen werden. Am Mittwoch luden Gemeinde und Paltentaler Minerals, die das Werk 2007 übernommen, neu strukturiert und mit innovativen Produkten im Bereich der Industrieminerale weltmarktfit gemacht hat, Journalisten von damals ein, um stolz zu präsentieren, wie sich der Ort entwickelt hat. Bürgermeister Fritz Stangl merkte in aller Bescheidenheit an, dass er am wenigsten dazu beigetragen habe, die Blumen gebührten dem Gemeinderat, den Werksleitern, der Bevölkerung. Sein Dank gilt heute noch den damaligen Politikern von SPÖ und ÖVP, die den Ort nicht im Stich gelassen haben, und allen Landsleuten, die großzügig gespendet haben.
Meinhard Lesjak, Geschäftsführer der Paltentaler Holding GmbH, sieht das deutlich anders und streut dem Ortschef Rosen: "Unter ihm ist unglaublich viel weitergegangen, er macht seine Sache ausgezeichnet." Am Ufer des netten Badeteiches ("Lassing liegt am Meer", schmunzelt der Bürgermeister) unter freundlicher Sommersonne war zu hören, dass Lassing die Abwanderung stoppen konnte und nun wieder bei rund 1700 Einwohnern hält und über gute Infrastruktur verfügt, wie eine Ärztin, Nahversorger und florierende Betriebe. Über allem thront die Burg Strechau, die jedenfalls einen Ausflug lohnt.
Wenn Journalisten, die jene Schicksalstage hautnah miterlebt, nicht nur berichtet, sondern mitgezittert haben, heute nach Lassing kommen, kann eine Frage bei der Besichtigung der Gedenkstätte nicht fehlen: "Wie geht es Georg Hainzl?" Die Geschehnisse hätten selbstredend Spuren hinterlassen, aber es gehe ihm "ganz gut", erklärt der Bürgermeister, "er arbeitet in Liezen am Bauhof, hat einen geschlossenen Freundeskreis". Viel unter die Leute mische er sich nicht. "Er will sich vor den immer gleichen Fragen schützen."
Lassing geht den Weg alleine weiter, die Gemeindestrukturreform berührt den Ort nicht. Die Vergangenheit könnte filmisch aufgearbeitet werden: "Ich höre, Alfred Ninaus will eine Dokumentation drehen, ich hätte nichts dagegen - wenn das was G'scheites wird", betont Stangl. "Denn unsere Jugend kennt das Schicksal nur mehr aus Erzählungen." (Kleine Zeitung, Ute Groß)